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Critical Mass: Worum geht es und was ist erlaubt?

Critical Mass: Worum geht es und was ist...

23.04.2021 - Update: 03.09.2021



Während sich der Nachthimmel langsam über Berlin senkt, blitzen darunter hunderte Fahrradleuchten auf. Eine riesige Gruppe von Fahrradfahrern nimmt ganze Straßenzüge Berlins für sich ein.

Es ist der letzte Freitag des Monats. Rund um die Welt treffen sich an diesem Tag Fahrradfahrer, um Präsenz zu zeigen – als „Critical Mass“. Bei keiner Behörde wird diese Veranstaltung angemeldet. Was hat es also mit dieser Bewegung auf sich? In welchem gesetzlichen Rahmen findet die Tour statt? Wer kann an der Critical Mass teilnehmen?

Wer ist die Critical Mass?

Die Critical Mass (engl. für kritische Masse) ist eine Gruppe aus nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern (hauptsächlich Radfahrer), die sich am letzten Freitag eines Monats unorganisiert trifft, um mit einer gemeinsamen Fahrt auf sich aufmerksam zu machen – und das weltweit.

Obwohl es keinen Veranstalter gibt, finden sich tausende Fahrradfahrer wie zufällig an einem gemeinsamen Treffpunkt ein, um auf den Straßen präsent zu sein. Damit ist die Critical Mass per Definition keine Demonstration, sondern lediglich eine große gemeinsame Rundfahrt.

Anfänge und Geschichte

In Berlin versammelten sich 1997 zum ersten Mal rund 20 Radfahrer, um auf die Benachteiligung von Fahrradfahrern im Straßenverkehr aufmerksam zu machen. Fünf Jahre davor hatte die weltweit erste Critical Mass in San Francisco stattgefunden.

Während bei der Critical Mass Berlin die Teilnehmerzahl stagnierte, erfreute sich die Critical Mass Hamburg großer Beliebtheit und wuchs dort zu einem regelmäßigen Termin mit öffentlichkeitswirksamem Massencharakter heran. Aktuell erfahren die Bewegungen in Hamburg sowie in Berlin ihren Höhepunkt.

Mehr Aufmerksamkeit für den Radverkehr schaffen

Das Motto der Critical Mass lautet: „Wir behindern nicht den Verkehr. Wir sind der Verkehr!“ Ob in Hamburg, Berlin oder Köln – die Teilnehmer möchten ein eindrucksvolles Statement gegen die Auslegung ihrer Stadt für den Autoverkehr setzen.

Genauer ist das Ziel nicht gesteckt und das hat einen Grund: Wer politische Themen bespricht, Ziele formuliert und plant, dafür auf die Straße zu gehen, muss eine Demonstration anmelden. Die Critical Mass hingegen beansprucht lediglich, was ihr bereits gehört.

Sie versucht, durch ihre regelmäßige Präsenz auf Fahrradfahrer in einer Auto-orientierten Stadt hinzuweisen.

Keine offizielle Veranstaltung – ist das überhaupt legal?

Die Bewegung verhält sich konform zu § 27 der Straßenverkehrsordnung. Dieses Gesetz erlaubt die Bildung von Fahrradverbänden, sobald sich mehr als 15 Radfahrer zu einer Gruppe zusammenschließen und gemeinsam über eine öffentliche Straße fahren.

In Kreuzungsbereichen können einzelne Radfahrer den zufahrenden Verkehr stoppen, wenn es der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer dient. Diese Sicherung, umgangssprachlich unter dem Begriff „Korken“ bekannt, muss sofort aufgehoben werden, sobald alle Radfahrer vorbeigefahren sind.

Die Polizei versuchte bis vor wenigen Jahren, die Critical Mass in Berlin einzudämmen. Mittlerweile ist sie Monat für Monat ein treuer Begleiter der Critical Mass Berlin und auch in Hamburg sichert eine Polizei-Motorradstaffel die gesamte Wegstrecke.

Eine willkommene Unterstützung, denn von der Critical Mass geht keine Gefahr aus, aber genauso wenig wollen sich die Teilnehmer einer Gefahr aussetzen.

Wer kann mitfahren?

Jeder, der sich für eine fahrradfreundliche Stadt einsetzen möchte, kann an der Critical Mass teilnehmen. Um die Fortbewegung in der Masse von Fahrradfahrern sicher zu gestalten, sollte dein Fahrrad auf jeden Fall verkehrssicher mit guten Bremsen, sichtbaren Reflektoren und mit voll funktionstüchtigem Licht ausgestattet sein. Vom E-Bike über das Liegerad bis zum herkömmlichen Fahrrad ist bei der Fahrt am letzten Freitag im Monat alles erlaubt.

Durchhaltevermögen und Humor sind gefragt

Obwohl die kritische Masse ein wichtiges Thema öffentlichkeitswirksam macht, ist klar: Tausende Radfahrer auf den Straßen provozieren in jeder Stadt! Fährt das erste Rad über Grün, dürfen alle Mitglieder des Fahrradverbands auch über die Kreuzung fahren, selbst wenn die Ampel lange wieder auf Rot steht.

Jeden Monat bietet sich bei der Critical Mass Hamburg dasselbe Bild wie bei der Critical Mass Berlin: Autos müssen minutenlang darauf warten, vom Fleck zu kommen. Empörtes Hupen ertönt, Beleidigungen werden ausgeteilt und Essensreste landen auf so manchem Fahrrad.

Die Critical Mass dient zwar nicht dem Spaß, aber es braucht schon eine Portion Humor, um während des gemeinsamen Rides auf die Anfeindungen der Autofahrer gelassen reagieren zu können. Gerade in den warmen Monaten klingt die Ausfahrt gerne mit einem Getränk im Park aus – denn bei einer Critical Mass kommen viele Menschen, und so auch neue Kontakte, zusammen.

Der Ableger für die Kleinen: Kidical Mass

Die Kidical Mass geht aus der Critical Mass hervor und setzt sich unter dem Motto „Platz da für die nächste Generation!“ für eine kinderfreundliche und lebenswerte Stadt ein.

Kinder haben in jeder Stadt das Recht, gefahrlos auf dem Rad unterwegs zu sein und fahren dafür gemeinsam mit ihren Eltern durch die Straßen. Diese Initiative hat sich mittlerweile von Hamburg auf ganz Deutschland ausgeweitet und soll die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an politischen Entscheidungen sichern.

Auf dieser Karte findest du die Standorte der Kidical Mass sowie kommende Termine und weitere Hintergrundinformationen.

Kooperationen

Die Critical Mass hat keinen Verantwortlichen und keine zentrale Organisation, deshalb werden Kooperationen nicht offiziell geschlossen, sondern basieren lediglich auf der Förderung von gemeinsamen Interessen.

In einigen Städten fährt die Kidical Mass auf „Human Protected Bikelanes“ von Greenpeace. Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) informiert auf seiner Homepage über die Critical Mass Hamburg und aktualisiert laufend die kommenden Termine.

Der Klimastreik Fridays for Future fällt mit der Critical Mass einmal im Monat zusammen. In manchen Städten, wie zum Beispiel in Berlin, werden die Programme aufeinander abgestimmt. Damit gelingt es, die Teilnehmeranzahl für den Ride sowie für den Streik weiter auszubauen.

In welcher Stadt gibt es die Rides?

Von München über Berlin bis Hamburg – die Critical Mass kommt am vierten Freitag eines jeden Monats in jeder größeren Stadt zusammen. Noch gibt es kein zentrales Verzeichnis, in dem Treffpunkt und Zeitpunkt erscheinen.

Damit du immer auf dem neuesten Stand bleibst, haben wir Tipps und Links für dich gesammelt:

• Wirf am besten einen Blick auf die ADFC Terminübersicht deiner Stadt, oder tippe „Critical Mass“ und deine Stadt in der Facebook-Veranstaltungssuche ein.

• Alle Termine und Wissenswertes rund um den Ride in Berlin findest du zusammengefasst auf dieser Website.

• Wenn du dein Fahrrad durch Hamburgs Straßen lenken möchtest, findest du dazu hier alle Informationen.

Vélorution

Der Fortschritt in der Nutzung von Fahrrädern ist nicht mehr aufzuhalten. Viele Städte bieten einen öffentlichen, kostengünstigen Fahrradverleih an, Pop-up-Fahrradwege nehmen temporär Fahrspuren ein und lokale Werkstätten kooperieren mit globalen Händlern.

Wenn auch du Teil der Vélorution sein möchtest, informiere dich über den nächsten Critical Mass Ride und sei präsent – für eine fahrradfreundliche Stadt.

Wie wird entschieden, wo und wann sich die Critical Mass trifft, wenn es keinen offiziellen Veranstalter gibt?

Die Organisation und Kommunikation der Critical Mass-Treffen erfolgen größtenteils über soziale Medien und Mundpropaganda innerhalb der Fahrrad-Community. Da es keinen offiziellen Veranstalter gibt, nutzen Teilnehmer häufig Plattformen wie Facebook, Twitter oder spezielle Foren und Websites, die sich der Fahrradkultur widmen, um Informationen über Treffpunkte und Zeiten zu teilen. Diese dezentrale Organisation ermöglicht es der Bewegung, flexibel und inklusiv zu bleiben, da jeder, der interessiert ist, teilnehmen und Informationen verbreiten kann.

Gibt es Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Teilnehmer während der Fahrt sicher bleiben?

Um die Sicherheit während der Fahrt zu gewährleisten, setzen die Teilnehmer der Critical Mass auf Selbstorganisation und gegenseitige Rücksichtnahme. Erfahrene Radfahrer übernehmen oft die Rolle der "Korker", indem sie an Kreuzungen den Verkehr anhalten, um einen sicheren Übergang für die Gruppe zu ermöglichen. Diese Praxis, obwohl sie in einem rechtlichen Graubereich liegt, hilft, Unfälle zu vermeiden und die Gruppe zusammenzuhalten. Die Teilnehmer werden auch dazu ermutigt, Verkehrsregeln zu beachten und sicherheitsrelevante Ausrüstung wie Helme, Lichter und Reflektoren zu verwenden. In einigen Städten kooperiert die Polizei mit der Critical Mass, um die Sicherheit der Teilnehmer und anderer Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten, indem sie die Route begleitet und bei Bedarf den Verkehr regelt.

Wie reagieren Städte und lokale Behörden langfristig auf die Präsenz und die Forderungen der Critical Mass?

Die Reaktionen von Städten und lokalen Behörden auf die Critical Mass und ihre Forderungen variieren weltweit. Während einige Städte die Bewegung als wichtigen Teil der städtischen Fahrradkultur und als Anstoß zur Verbesserung der Fahrradinfrastruktur ansehen, stehen andere ihr skeptisch gegenüber. Langfristig hat die Sichtbarkeit und Hartnäckigkeit der Critical Mass in einigen Städten zu konstruktiven Dialogen zwischen Radfahrern und Stadtplanern geführt. Dies kann in der Entwicklung fahrradfreundlicherer Straßen, der Einrichtung von Radwegen und einer generellen Anerkennung der Fahrräder als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer resultieren. Der Erfolg dieser Bemühungen hängt jedoch stark von der lokalen Politik, der öffentlichen Meinung und der Bereitschaft der Behörden ab, auf die Bedürfnisse der Radfahrer einzugehen.

Wir aus der Bikes.de-Redaktion haben eine große Leidenschaft: Fahrräder. Und diese Leidenschaft wollen wir mit dir teilen. Daher sind wir immer auf der Suche nach neuen, spannenden und relevanten Themen rund ums Rad, die dir Information und Orientierung bieten – und vor allem jede Menge Lust aufs Radfahren machen sollen. Viel Spaß beim Lesen!